Jahrestagung 2019 – Evidenz in den Wissenschaften

Datum
26.09.2019 - 28.09.2019
(iCal, webcal, Google Calendar)

Veranstaltungsort
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn


Evidenz in den Wissenschaften

EVIDENZ IN DEN WISSENSCHAFTEN

„Evidenz“ ist seit der Antike in Medizin, Wissenschaft und Technik eine selbstverständliche Qualitätskategorie. Doch ihre Erzeugung und ihr Gebrauch sind komplexe Vorgänge, die erst noch im Einzelnen genau verstanden werden müssen. Denn Evidenz ist ein mehrdeutiger Grund- und Referenzbegriff. Als Anschauung, Zeugnis, Beweis, als wahrheitsträchtige Erkenntnis, überzeugende Tatsache, Gewissheit oder persuasives Verfahren des „Vor-Augen-Stellens“ lässt sich Evidenz nur kontextspezifisch bestimmen. In der flexiblen Semantik des Wortes Evidenz liegt sein epistemisches und argumentatives Potential.
Spricht man von wissenschaftlicher Evidenz, müssen sowohl die Methoden der Evidenzerzeugung (empirische Beobachtung, systematischer Vergleich, Experiment, Studie etc.) als auch die Modi ihrer konkreten Darstellung (Bilder, Zahlen, Statistiken, Graphiken, Narrative etc.) mitbedacht werden. So bewegen sich die Diskurse und Praktiken der wissenschaftlichen Beweisführung und -darlegung in einem Spannungsfeld zwischen konkretem „Sich-Zeigen“ und subjektiver Vorführung, Demonstration und Anerkennung.

Theorie und Praxis – von der Antike bis heute
Mit ihrer in der antiken Rhetorik und Philosophie verankerten Tradition ist die „evidentia“ zum Kernbegriff der Wissenschaften avanciert. Die Prozesse von Aufstieg, Anerkennung, Standardisierung und Regulierung wissenschaftlicher Evidenz mit den damit verknüpften Erzeugungspraktiken kennzeichnen die Entwicklung und Institutionalisierung der wissenschaftlichen Disziplinen seit dem 17. Jahrhundert. Die Etablierung der experimentell-empirischen Forschungsmethode in der Frühen Neuzeit markiert dabei die Herausbildung einer Evidenzkultur.
Seit dem 19. und 20. Jahrhundert wird „evidenzbasierter“ Erkenntnisgewinn als grundlegend für wissenschaftliche Qualität bezeichnet. Durch die Entwicklung von Methoden der Wissensgenerierung, die über Phänomene wie Technisierung, Automatisierung bis hin zur Digitalisierung, Partizipation und Kooperation eng miteinander verbunden sind, konnten Evidenzpraktiken standardisiert, konsolidiert und reguliert werden. Ein markanter Wendepunkt in der gesellschaftlichen Bedeutung von wissenschaftlicher Evidenz ereignete sich Mitte der 1990er Jahre, als die „Evidenzbasierte Medizin“, kurz EBM, zur besten Methode für die Durchführung klinischer Forschung und die Erarbeitung von Leitlinien erklärt wurde. Inzwischen ringt die Medizin damit, ebendiese Methodik zu hinterfragen, da sie mitunter enge Grenzen und erhebliche Widersprüche aufweist.
In demokratischen, säkularisierten und pluralistisch ausgerichteten Systemen wird wissenschaftliche Evidenz zur Begründung und Rechtfertigung von Entscheidungen auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene gebraucht und eingesetzt. Denn: Wie in der Politik gut begründete Entscheidungen auf Expertenmeinungen und wissenschaftlichen Ergebnissen basieren sollen, so soll im individuellen Fall die Wahl z. B. einer therapeutischen Option informiert und evidenzbasiert stattfinden.

Drängende Fragen vor dem Hintergrund der heutigen Evidenzkrise
Erzeugung, Anerkennung, Bekanntgabe und Gebrauch von Evidenz erfordern eine kontextsensible Analyse. Ebenso ist nach dem Wandel der Bedeutung, der Funktion und des Gebrauchs von Evidenz über die Jahrhunderte zu fragen. Die Frage, die sich ganz aktuell stellt, ist, ob statistische Auswertungen sowie Norm- und Grenzwerte korrekt, wertneutral und valide sind. Eine „Zahlenethik“, die auf Kriterien einer „guten“, zuverlässigen und wahrhaftigen Aufbereitung von Daten und Zahlen und deren Darstellung aufbaut, könnte und sollte die moralische Verantwortung im Umgang mit Zahlen erhöhen.
Wir erleben gegenwärtig eine Evidenzkrise, die mit der Fragilisierung der Wissensgesellschaft einhergeht. Mit den steigenden Legitimationszwängen der Wissenschaft in Anbetracht möglicher Risiken, unbeherrschbarer Zukunftsszenarien sowie der damit verbundenen Unsicherheit und dem Nichtwissen wird Evidenz umso zwingender beansprucht, behauptet und hinterfragt. Angesichts der Komplexität, die die Vorgänge von Erzeugung, Anerkennung, Bekanntgabe und Gebrauch von Evidenz kennzeichnen, sind die historisch und epistemologisch arbeitenden Disziplinen umso dringender als jene Bereiche gefragt, die geisteswissenschaftliche Forschung in Medizin, Naturwissenschaften und Technik vorantreiben.

Im Rahmen unserer Jahrestagung soll der Umgang mit Evidenz in den verschiedenen disziplinären Bereichen diachron und synchron ausgelotet werden. Uns interessiert, ob z. B. in den Wissenschaften unterschiedlicher Umgang mit Evidenz gepflegt, tradiert und praktiziert wird. Kann man von „Evidenzkulturen“ in den Wissenschaften sprechen? Ist die in der Medizin in den letzten Jahren vieldiskutierte Evidenzkrise auch in anderen Disziplinen zu spüren?
Der interdisziplinäre und intergenerationelle Austausch im Rahmen der Jahrestagung der GWMT verspricht, dem Themenkomplex der „Evidenz in den Wissenschaften, der Medizin und der Technik“ in seiner kulturellen, ethischen und epistemischen Tragweite gerecht zu werden.

Hier können Sie den vollständigen Call for Papers herunterladen. Die deadline zur Einreichung ist bereits verstrichen, Anmeldungen zur Tagung sind willkommen, alle Informationen dazu folgen in Kürze!

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